Killing

the winner

Killing the Winner ist eine ökologische Hypothese, nach der ein besonders konkurrenzstarker Organismus in einem Ökosystem doch wieder (durch einen Fressfeinde, einen Parasiten oder einen Krankheitserreger) im Zaum gehalten wird. Das Coronavirus ist ein Beispiel dafür. Näheres im Video und im Text

Corona

Wann immer eine Art dominiert, ist sie anfällig für Viren.

Was wir Menschen mit der Landschwanz-Zwergreisratte zu tun haben und warum uns das gefährlich wird.

Warum der Mensch als Wirt für das Corona-Virus wichtig ist und zweitens den ersten nicht so einfach auslöschen wird.

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Video von Maria Schlögl

„Killing the winner“

ist ein ökologisches Konzept, eine Theorie zur Populationsdynamik in organismischen Gemeinschaften. Ein Beispiel dafür sind Algenblüten im Meer, bei denen eine einzellige Algenart sich aufgrund günstiger Umstände (Nährstoffangebot, Temperatur) plötzlich ganz stark vermehrt. Von Satelliten aus konnte man viele Kilometer große Blüten von Emiliana huxleyi im Nordatlantik beobachten: dichte grüne Flächen, die Farbe des Chlorophylls. Nach wenigen Wochen aber wurden die Algen zum Wirt für ein Virus und die Blüten erstarben. Die toten Algen, jetzt selbst Nährstoff für Bakterien, sanken als ‚mariner Schnee‘ in die Tiefen des Ozeans. Der ‚Winner‘ wurde dezimiert, das Virus hat einen Beitrag zur Verlagerung des Kohlenstoffs in die Sedimente des Meeres geleistet und damit zur Reduktion des Kohlenstoffs in der Atmosphäre beigetragen. Der Kreislauf begann von Neuem.

Ein anderes Beispiel erlebte ich in Argentinien.

Der Colihue ist eine süd-argentinische Bambusart, die abhängig von den klimatischen Bedingungen alle 70 Jahre blüht und dann eine riesige Anzahl von Samen bildet. Als Folge davon vermehrt sich die Langschwanz-Zwergreisratte sprungartig; sie ist sehr oft Träger des Hantavirus. Bei entsprechender Populationsdichte der Mäuse steigt auch die Übertragungsrate des Hantavirus, das in der Lage ist, die riesigen Mauspopulationen (die „Winner“) zu eliminieren. Bei unserem Besuch im Nationalpark Los Alerces waren die Campsites mit 60 cm hohen Blechwänden umgeben, um das Eindringen der Ratten zu verhindern. Die Umgebung war mit zahllosen toten Ratten übersät. Hätten wir damals geahnt, wie leicht dieses Hantavirus vom Nagetier auf den Menschen überspringen kann, hätten wir diese Zeltplätze mit Sicherheit gemieden. Wegen der Inkubationszeit von zwei Monaten mussten wir noch Wochen nach unserer Rückkehr bangen, ob wir uns wohl nicht mit diesem oft tödlichen Virus angesteckt hätten. Derartige Zoonosen, also das Überspringen von einer Tierart auf den Menschen, kommen gar nicht so selten vor.

So auch beim Coronavirus,

das ursprünglich bei Fledermäusen vorkommt und offensichtlich über Gürteltiere auf einem chinesischen Markt auf den Menschen übergesprungen ist. Der Mensch ist jetzt der ‚Winner‘, und wird zum bevorzugten Wirt für das Virus.

Ein Markt, wo sich die Leute drängen, eine riesige 20-Millionen-Agglomeration: Wo wäre es naheliegender, dass sich das Virus so schnell ausbreiten, und damit den ‚Winner‘ dezimieren kann? Kann Dezentralisierung die Antwort sein, die Aufwertung des Landes gegenüber den städtischen Ballungsräumen, oder die bessere Verschränkung von Wohnort und Arbeitsplatz, was die täglich wiederkehrende Durchmischung großer Teile der Bevölkerung verringern würde? Oder ist es der sanfte Tourismus, mit Einsersessellift (wer kennt sowas noch?) statt Hundertergondel?  Jedenfalls, bei einer Spezies mit großer globaler Mobilität ist es keine Überraschung, dass die Verbreitung von SARS-CoV-2 weltweit so schnell funktioniert. Über Vektoren, wie man das in der Ökologie nennt. Im Anthropozän, im unserem Zeitalter, sind das aber nicht Ratten oder Zugvögel, sondern Autos, und Züge und Flugzeuge.

Und wie reagiert der Mensch?

Mit einer Maßnahme, die in der Natur in dieser Form noch nicht beobachtet wurde, oder zumindest dem Autor nicht bekannt ist: mit einer verordneten Zunahme der sozialen Distanz. Weniger Interaktionen des ‚Wirtes‘ verlangsamen die Ausbreitung des Virus. Womit wir mit einem alten Sprichwort zusammenfassen können: wer nix wird, wird Wirt! Wer da nicht an Ischgl denkt?

Blicken wir guten Mutes in die Zukunft:

es kann niemals das Ziel der Krankheitserreger sein, den auszulöschen, der für ihn lebenswichtig ist, den Wirt. Genetische Anpassungen werden dafür Sorge tragen, das Virus wird weniger tödlich werden. Und umgekehrt, soziale Interaktionen beim Aprés-Ski und danach tragen wieder zur genetischen Vielfalt der Spezies Mensch bei.

Vielfalt erhöht die Widerstandskraft und Resilienz. So betrachtet kann sich auch der Wirt in Ischgl trösten.

Univ. Prof. Heribert Insam

Leiter des Instituts für Mikrobiologie, Universität Innsbruck

Erschienen im 20er, Innsbruck, April 2020

Beitrag im 20er als png

„Kill the winner“

Video:

Das Video wurde von Maria Schlögl im Rahmen der „Jungen Uni Innsbruck“ produziert und ist für den Wettbewerb „Fast Forward Science“ von Wissenschaft im Dialog